Flötist Johannes Walter

                        .... mit Leidenschaft Flöte......

"Begeisterung  für  Bach"

[Erschienen  in der führenden Muskzeitschrift der DDR  " Musik  und  Gesellschaft"  -  in  der Sonderausgabe anläßlich des  300.  Geburtstages  von  Johann Sebastian Bach  Berlin  --  März  1985]

"Bachische Klänge" waren es von Anfang an, die bei mir die Liebe zur Musik und später den Wunsch Musiker zu werden mit auslösten.....   
Der spezifische Bach`sche Holzbläserklang, wie ich ihn aus der mir schon früh bekannten Matthäuspassion  im Ohr hatte, war mit ausschlaggebend für meine  Instrumentenwahl als 15-jähriger Oberschüler.    

Mein inniges, natürlich bis heute Wandlungen unterliegendes Verhältnis zu Bach`s Musik  --  auch für mich ist sie der Inbegriff von Musik überhaupt  -  entstand anfangs sicher auch durch ihre, wohl vor allem für junge Menschen faszinierende Motorik und ihre farbige oft überraschende Harmonik . Heute sind es dazu Bachs wunderbar klar verständliche, aus dem Sprachduktus seiner Vokalmusik kommende Artikulation, seine vollendete Architektur in der Phrasierung       ( selbst in dichtester Mehrstimmigkeit ), seine vokal und instrumental immer "sprechende" Musik, die ihre tiefe Ausdruckskraft für mich ausmachen .      

Ich erinnere mich noch, wie ich im Studium bei meinem Lehrer Prof.Fritz Rucker von den Flötensonaten und der Solopartita begeistert war , wie ich  das Violin-Doppelkonzert d-moll, oder die "Brandenburgischen", seine Orgelmusik und vieles andere immer wieder in Konzerten in Dresden hören mußte! Aufführungen des unermüdlichen Dresdner Kreuzorganisten Herbert Collum, des Münchner Kammerorchesters, der Zagreber Solisten  u.a. sind mir noch in lebendiger Erinnerung .  

Selber spielte ich immer wieder Bach : als Student genauso wie später im Beruf bei den Dresdner Philharmonikern wie in der Dresdner Staatskapelle . Ungezählte musikalische Höhepunkte sind im meinem Leben mit Bachs Musik verbunden gewesen :  vor allem die Mitwirkung in den Aufführungen der Passionen, des Weihnachtsoratoriums, der h-moll-Messe beim Dresdner Kreuzchor unter dem unvergessenen Rudolf Mauersberger.....    
Ich denke an viele Aufführungen der Bachschen Flötensonaten oder an Konzerte mit meinem Ensemble  "Dresdner Kammersolisten".           

1967 erhielt ich die einzigartige Möglichkeit alle Flötensonaten des Thomaskantors auf Schallplatte  (bei  der Firma  ETERNA)  einzuspielen.   Partnerin am Cembalo war  Isolde Ahlgrimm  aus Wien.   
Ich war zu einer Bestandsaufnahme meines eigenen Verhältnisses zur Musik des Leipziger Meisters  aufgefordert . Außerdem mußte ich auf eine in der Aufführunspraxis viel erfahrenere Musikerin eingehen und lernte eine Menge Neues über die Ornamentik speziell bei Bach, über  die Ausführung eines  Continuo-Parts,  erlebte das Phänomen eines singenden Cembalo -  Klanges .  
Ich begriff z.B. hier, daß willkürliche Registerwechsel auf Cembalo (oder Orgel) historisch fragwürdig sind, daß allein die klare Stimmführung bei Bach (z.B. obligate Fötensonaten !) für die Wahl der Klangfarben ausschlagend ist und die Flöte als das "dynamischere" Instrument viel von der nun einmal  vergleichsweise dynamischen Starre des Cembalos im Miteinander ausgleichen kann .    

Heute musizieren wir weitgehend möglichst mit Kopien alter, berühmter Cembali, was von vornherein über die Dynamik - und Klangfarbenproblematik , vor allem über die früheren Möglichkeiten des Cembao-Spiels mehr Klarheit schafft. Aus meiner praktischen Erfahrung  ist mir klar geworden , daß ein Bläser, Streicher oder Sänger viel über das Cembalo wissen muß, um mit ihm musizieren zu können .   

Hilfreich und anregend waren und sind für mich immer wieder die aktuellen Aussagen der Zeitgenossen Bach`s, wie Fr.Couperin, J.J.Quantz, Ph.E.Bach  u.a. über ihr Musizieren. Nützlich und aufschlußschreich ist das fundierte  Studienmaterial aus unserer Zeit über die Musizierpraxis des 18.Jh. , z.B. von Albert Schweizer, Hans-Peter Schmitz, Hans-Martin Linde, Thurston Dart.....   

Das Bach`sche Werk immer wieder neu reflektieren zu wollen brachte mir bald auch die   
Interpretationen von Leonhard, Brüggen, Marriner, Harnoncourt und andere "alte Spielweisen"  konsequent nutzender Musiker näher. Ihre Art Bach zu interpretieren, das historisch Nachweisbare wieder mehr ins Bewußtsein zu bringen verhalf mir zu mancher neuen Sicht, zu mancher neuen Möglichkeit der Kunst des Thomaskantors intensiver zu begegnen. Meine Interpretation z.B. der Partita für Soloflöte (BWV 1013)  oder der h-moll-Ouvertüre 
wandelte sich im Verlaufe der Jahre zwangsläufig durch viele neue Erkenntnisse , die ich nun berücksichtigen konnte .

Dem "französischen Geschmack"  (etwa im strengen "pointe´" seiner Ouvertures oder in den von Bach meist ausgeschriebenen "Wesentlichen Manieren") , den "italienischen Variaziones", den Einflüssen englischer Barockmusik , vor allem dem  Geist seiner deutschen Vorgänger  -  etwa Praetorius und Schütz - in Bachs Musik zu begegnen regte mich  zu immer neuer Beschäftigung  mit der Barock-Musik überhaupt an. Dieses Engagement  wird auch durch die Notwendigkeit die Summe der eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse als Lehrender im Instrumentalunterricht oder bei Seminaren weiter zu geben sinnvoll .  

In der Jury des Bach-Wettbewerbes  1984  - an dem zum 1.Male  Flötisten teilnahmen - fühlte ich mich aber auch wiederum vor allem als ein Erfahrender und Lernender. Es war beeindruckend, wie vielfältig und teilweise auch sachkundig sich die jugen Musiker aus aller Welt mit dem Werk des großen Leipzigers auseinander setzten.  

Gerade bei so einem Instrumental-Wettbewerb wird deutlich, wie entscheidend neben aller Kenntnis der musikalischen Historie und der neuesten Forschungsergebnisse die persönliche Ausstrahlung, die Synthese von Wissen, Erfahrung und eigenem Gestaltungsvermögen für werkgetreues Musizieren ist. Nicht wer nur "neueste Richtungen" und etwa Ensemles kopiert, sondern wer Eigenes, wer sich selbst "dreingeben" kann, wird dem ,  tiefen Ausdruck verlangenden Schaffen Bach`s gerecht werden und wird diese Musik aufschließen und die Hörer ergreifen können.

Dabei spielt es dann keine so große Rolle mehr, ob die Musik auf "alten Instrumenten" ,  in mitteltöniger Intonation oder mit unserem  "modernen Instrumentarium" erklingt. (Glücklich sind die Sänger, die immer über das "gleiche Instrument" verfügen.....) .

Die vor kurzem in Dresden neu eingespielte Schallplatten-Aufnahme der Matthäuspassion unter und mit Peter Schreier war in diesem Sinne ein wünschenswertes, beglückendes Erlebnis für mich, von dem ich glaube, daß es im Zusammenklang bewährter, guter Musiktradition , vieler neuer Erfahrungen, vor allem aber ganz persönlicher Hingabe jedes Mitwirkenden an das Werk für den  300-jährigen Johann Sebastian Bach eine würdige Ehrung  
bringen wird .

Bach ist für mich ein universelles Phänomen. Seine "weltlichen" und "geistlichen" Werke  -  ich kann und will dies eigentlich nicht unterscheiden  -  seine Musik wird mir immer als geistig unteilbar Ganzes , als das gewaltige  
Werk eines selbstbewußten Weltbürgers, vor allem eines genialen,  tiefreligiösen Menschen seiner Zeit entgegenklingen.  

Johannes Walter